Immer wieder stellen wir fest, dass Menschen Müllvermeidung mit Recycling gleichsetzen. Dabei ist Recycling ein Teil das Problems und nicht die Lösung. In einer Hausarbeit habe ich genau dieses Problem analysiert und zeige euch heute, warum Recycling nicht genug ist. Hier ist ein Auszug davon.
Das Wort „Recycling“ ist, historisch gesehen, relativ neu. Der Vorgang des Recyclings ist allerdings um einiges älter. Bereits im 18. Jahrhundert hat die britische Unterschicht alte Dinge recycelt, bspw. durch den Kauf von gebrauchter Kleidung, da der Kauf neuer Produkte zu teuer war. Es waren jedoch nicht nur Kleider, die wieder verwendet wurden, sondern auch Baumaterial von abgerissenen Häusern. Außerdem wurde ein Großteil der Metallprodukte repariert oder wiederverwendet, aber auch alte Lappen in der Papierindustrie genutzt (Cooper, 2006). Heutzutage ist Recycling in Deutschland für die meisten Menschen selbstverständlich: 78% der Deutschen sagen, dass sie mindestens gut informiert sind über Recycling (Verbraucherzentrale, 2015) und 95% geben in einer Emnid-Umfrage an, dass sie ihren Müll zu Hause dem Recycling zuführen (Lightcycle, 2013). Das Bewusstsein über die Endlichkeit unserer Ressourcen ist ein wichtiger Grund für zunehmende Recyclingaktivitäten.
Zur Zeit der Ölkrise 1973 wurde sowohl Politiker*innen und Bürger*innen bewusst, dass der Großteil unserer Ressourcen nicht unendlich verfügbar ist. 1972 stellte der Club of Rome in seinem Bericht Grenzen des Wachstums als erste Institution fest, dass das Ende des Wachstums vor dem Jahr 2100 bevorsteht.
„In diesem Fall wird Wachstum durch drei simultane Krisen gestoppt. Die Übernutzung von Land führt zu Erosion und die Nahrungsmittelproduktion sinkt. Die Ressourcen sind durch die wohlhabende Bevölkerung ernsthaft erschöpft […]. Die Umweltverschmutzung steigt, fällt und steigt dann wieder dramatisch, was zu einer weiteren Reduzierung der Nahrungsmittelproduktion und einem plötzlichen Anstieg der Sterberate führt“ (Meadows et al., 1972: 141) [1].
Inzwischen schreiben mehr und mehr Autor*nnen über den Peak of Everything (Welzer, 2013; Paech, 2012; Heinberg, 2010), d.h. wir sind am Hochpunkt der Ressourcenausbeutung auf einer umgedrehten U-förmigen Parabel. Es ist offensichtlich, dass die einfache Entsorgung von Ressourcen auf Deponien keine nachhaltige Lösung ist. Erstens gehen diese Ressourcen für immer verloren, zweitens kann das Land, das als Deponie genutzt wird, nicht für die Menschen und deren Leben oder Erholung genutzt werden und drittens verschmutzt der Müll dort Luft, Wasser und Land (King et al., 2006).
Entsprechend wurden von Seiten der Politik die Anstrengungen erhöht, Ressourcen wiederzuverwenden, nicht nur um die Umwelt weniger zu verschmutzen, sondern auch um Kosten zu sparen und die Wirtschaft weniger abhängig von nicht erneuerbaren Ressourcen zu machen. Deutschland wurde so zum Vorreiter in Sachen Recycling. Die Folge ist heute, dass deutsche Haushalte vier oder mehr Mülltonnen vor dem Haus stehen haben (King et al., 2006) und Deutschland als Weltmeister des Recyclings gesehen wird (Eddy, 2016).
Aber geht Recycling überhaupt in die richtige Richtung? In der EU-Richtlinie 2008/98/EG wird Recycling definiert als ein „Verwertungsverfahren, durch das Abfallmaterialien zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden.“ Diese Definition beinhaltet, dass Müll produziert, er jedoch wieder in den Kreislauf eingebracht wird, statt ihn auf die Mülldeponie zu bringen oder zu verbrennen. Das Problem ist jedoch, dass viele Materialien nicht unendlich oft recycelt werden können. In derselben Richtlinie fordert die Europäische Union ihre Mitgliedsstaaten dazu auf, „bis 2020 […] die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling von Abfallmaterialien auf mindestens 50 Gewichtsprozent insgesamt [zu erhöhen].“
Bartl (2014) macht jedoch deutlich, dass eine 100% Recyclingquote nicht erreicht werden wird. Das hat drei Gründe: (1) Metalle sind beliebt bei Recycling, da sie aus unzerstörbaren Atomen bestehen, die effizient und unendlich oft recycelt werden können. Allerdings können sie aufgrund von Unreinheiten oft nicht in derselben Qualität wiederhergestellt werden, was zu einer Recyclingquote von unter 50% bei 70% der Metalle führt; (2) Recycling von Plastik ist noch komplizierter. Jeder Recyclingschritt führt zu einem inhärenten Verlust der Eigenschaften von Plastik, da dessen Polymere sehr sensibel auf jede Art von Bearbeitung reagieren. Entsprechend kann keine PET-Flasche zu einer neuen stabilen PET-Flasche recycelt werden, ohne eine neue Schicht PET hinzuzufügen. Das dritte Problem, das Bartl nennt, ist die Komplexität der Produkte. Immer mehr chemische Elemente werden innerhalb eines Produktes verwendet. Während in einem 1980 in Computer Chip elf Elemente verbaut waren, sind es in den 2000ern bereits 60. Je mehr Elemente jedoch in einem Produkt enthalten sind, desto komplizierter und entsprechend teurer ist der Recyclingprozess (Bartl, 2014: 10).
Kopytziok sagt hierzu, dass „die erzeugten Sekundärprodukte [d.h. die Produkte aus Recyclingmaterialien] von erheblich niedrigerer Qualität [sind], weshalb weder von einem Recycling noch von einer Umweltentlastung gesprochen werden kann“ (Kopytziok, 1995: 60). Die Definition von Recycling der EU beinhaltet eben nicht die Wiederherstellung von Ressourcen in derselben Qualität, sie besagt nur, dass Ressourcen wiederhergestellt werden sollen. In welcher Qualität bleibt hierbei offen. Das bedeutet, dass das Lebensende von Materialien, die nicht komplett recycelt werden können, nur hinausgezögert wird. Am Ende landen sie trotzdem auf der Deponie oder werden verbrannt.
Wir können Materialien also nicht so recyceln, dass man aus ihnen dieselben Produkte mehrmals herstellen kann. Stattdessen braucht man trotz Recycling immer mehr Ressourcen, so dass ganz klar wird, dass Recycling nicht genug ist. Wollen wir wirklich Ressourcensparen und die Umweltbelastungen verringern führt kein Weg an der Müllvermeidung vorbei.
[1] eigene Übersetzung
Literatur
Bartl, A. (2014). Moving from recycling to waste prevention: A review of barriers and enables. Waste Management & Research, 32(9), 3–18. https://doi.org/10.1177/0734242X14541986
Cooper, T. (2006). Rags, Bones and Recycling Bins. History Today, 17–18.
Eddy, M. (28. November 2016). Germany Gleefully Leads List of World’s Top Recyclers. The New York Times.
Heinberg, R. (2010). Peak Everything. Gabriola Island, Canada: New Society Publishers.
King, A. M., Burgess, S. C., Ijomah, W., and McMahon, C. A. (2006). Reducing waste: Repair, recondition, remanufacture or recycle? Sustainable Development, 14(4), 257–267.
Kopytziok, N. (1995). Ökologische Bewertung der Verwertung. Methodik und Resultate. AKP – Alternative Kommunalpolitik, (2).
Lightcycle. (2013). 93 Prozent der Deutschen sind Mülltrenner. Abgerufen am 10. September 2017 von Lightcycle: http://www.lightcycle.de/presse/pressemitteilungen/2013/04062013-93-prozent-der-deutschen-sind-mulltrenner.html
Meadows, D. H., Meadows, D. L., Randers, J., & Behrens, W. W. (1972). The limits to growth. New York, 102, 27.
Paech, N. (2012). Befreiung vom Überfluss: Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie. München: oekom.
Verbraucherzentrale. (2017). Öko-Siegel ohne Ende. Abgerufen am 10. September 2017 von http://www.lebensmittelklarheit.de/informationen/oeko-siegel-ohne-ende.
Welzer, H. (2013). Selbst denken. Eine Anleitung zum Widerstand. Frankfurt a.M.: S. Fischer Verlag.
Danke, dass ihr mir und vielen mehr die Augen öffnet 🙂 Super! Ich stehe erst am Anfang und habe mich entschieden, Plastik und Müll zu reduzieren. Da kommt ja noch einiges auf mich zu. Jetzt werde ich aber immer sicherer, dass ich wirklich etwas für die Umwelt tun kann.
Liebe Grüße eure Line
Hallo Line,
das freut uns natürlich! 🙂 Man muss/kann ja nicht über Nacht müllfrei(er) werden. Wenn man in langsamen Schritten in diese Richtung geht klappt das dann irgendwann von allein und man bekommt immer neue Ideen einzelne Dinge durch müll-/plastikfreie Alternativen zu ersetzen.
Liebe Grüße
Philipp